28. Oktober 2010
„Kinder verbinden im Spiel die gemeinsamen Interessen – die Sprache an sich ist in diesem Zusammenhang eigentlich nur Beiwerk“, sagt Michael Bonnard, der Leiter der Grundschule I in Stadtallendorf.
In der Vorklasse von Heike Markewitz-Mutters verbinden die Kinder eine Geschichte mit Musik und entsprechenden Bewegungen.
© Florian Lerchbacher
Stadtallendorf. „Warum sollte ich jemandem vorschreiben, wie er sich auf dem Schulhof mit seinem Freund unterhalten soll, den er nachmittags doch auch sieht?“, entgegnet Michael Bonnard auf die Forderung, Deutsch auf dem Schulhof zur Pflichtsprache zu machen, die im Zuge der Diskussion über Integration in den vergangenen Wochen mehrfach aufkam.
Für den Schulleiter der Grundschule I ist Deutsch in diesem Zusammenhang nur Beiwerk, denn Spiel, Spaß und gemeinsame Interessen gäben auf dem Schulhof den Ausschlag. Bei Grüppchenbildung sei die Sympathie entscheidend, nicht die Herkunft.
Rund 65 Prozent der Kinder der Bärenbachschule haben einen Migrationshintergrund. Am zweiten Standort der Einrichtung, der Nordschule, sind es rund 35 Prozent. Da ist es unumstritten, dass ein entscheidender Faktor des Schullebens und mithin auch der Integration in die Klassengemeinschaft die deutschen Sprachkenntnisse sind. „An manchen Stellen handeln wir präventiv, an manchen aber auch eingreifend“, sagt Bonnard.
Aus präventiven Gründen gibt es in Stadtallendorf den Vorlaufkurs Deutsch mit insgesamt acht Stunden für beide Standorte: Etwa ein Jahr vor der Einschulung versuchen Vertreter der Schule herauszufinden, ob die Deutschkenntnisse des Kindes ausreichen und seine Persönlichkeitsentwicklung weit genug fortgeschritten ist, um im ersten Schuljahr mitzuhalten, sich zu verständigen und in der Schulgemeinschaft zurechtzufinden. Sollten die Kinder diese Kriterien nicht erfüllen, werden sie ggf. zurückgestellt, kommen in eine Vorklasse, um sich in wöchentlich mehr als 20 Stunden unter gezielter Förderung weiterzuentwickeln und die Grundzüge der deutschen Sprache zu erlernen. Erst danach werden sie eingeschult.
Zusätzlich bietet die Grundschule I in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium für Klassen mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund „Deutsch und PC“ an. Acht bis zehn Wochenstunden stehen den Lehrern der Erstklässler pro Klasse bestenfalls zur Verfügung, in denen sie als Zweierteams arbeiten: Kommen einige Schüler nicht mit dem Stoff hinterher, werden sie in Kleingruppen in einem gesonderten Raum gefördert. „Aus diesem Grund bauen wir auch gerade an“, erklärt Bonnard die Arbeiten am Gebäude der Bärenbachschule. Das Angebot gilt für Deutsch und Mathe – in der Klasse zwei aber nur noch für Deutsch, außerdem gibt es dann nur noch fünf dieser Sonderstunden. „Die Förderung ist zufriedenstellend, ich würde mir aber noch zusätzliche Stunden wünschen“, betont der Schulleiter.
„Wenn das nicht reicht, gab es bis zum vergangenen Schuljahr noch die Möglichkeit der Leseambulanz“, sagt Bonnard. Dieses Projekt existiert zwar offiziell nicht mehr, der Erfolg sei aber so groß gewesen, dass die Stadtallendorfer es weiterführten und Förderstunden dafür einsetzten: In ursprünglich fünf und nunmehr drei Stunden üben sich Kinder unter zusätzlicher Betreuung im Lesen. „Die Schüsselqualifikation für das Schulleben ist die deutsche Sprache“, erklärt der Schulleiter und weist darauf hin, dass auch herkunftssprachlicher Unterricht in Türkisch und Italienisch angeboten werde, damit auch die eigentliche Muttersprache eine weitere Förderung erhält.
Eine weitere Besonderheit der Grundschule I ist der Verzicht auf die dritte Sportstunde – der in den schulischen Gremien diskutiert und dann beschlossen wurde. Dafür erhalten ausgewählte Kinder aller Jahrgänge in Kleingruppen Förderstunden in Mathe und Deutsch. „Wir stoßen bei Eltern auf großes Verständnis“, beschreibt Bonnard die Resonanz auf das Konzept im mittlerweile zweiten Versuchsschuljahr.
Auf die Zusammenarbeit von Jung und Alt setzt auch das Konzept „Seniorpartner in School“: Ein Senior und eine Seniorin kommen seit anderthalb Jahren in die Schule, um Schlichtungsgespräche zu führen: Sie agieren als Mediator bei Streits. Die Parteien, die aneinandergeraten sind, suchen im Beisein der Rentner das Gespräch und versuchen, ihren Zwist beizulegen – über den Inhalt und den Verlauf der Gespräche erfahren die Lehrer indes nichts.
Zudem bietet die Schule zum Beispiel ein Mädchenfußball-Projekt an, das die Integration fördern soll (die OP berichtete), oder „Jedem Kind ein Instrument“. Es gibt eine Hausaufgabenhilfe, die das Büro für Integration und „Bipoli“ aus Marburg für Kinder mit Migrationshintergrund anbieten. Die Kooperation mit Vereinen wie der Eintracht oder der Musikschule sei zudem essentiell, um die Kinder zusammenzubringen und zu fördern, sagt der Schulleiter.
Auch die Zusammenarbeit von Eltern und Kindern funktioniert laut Bonnard „in der Regel gut“: Stoße man auf Sprachbarrieren im Gespräch mit Eltern, ließen sich diese durch Dolmetscher – teilweise übernehmen die älteren Geschwister der betroffenen Kinder diese Funktion – meist problemlos überwinden.
Mit zahlreichen Initiativen versucht die Stadtallendorfer Schule also, die Schüler und die Integration zu fördern. Doch Bonnard appelliert an die Eltern, die Bildungseinrichtung zu unterstützen: „Ich möchte Eltern bitten, ihren Kindern frühzeitig, noch vor dem Eintritt in den Kindergarten, mehr Deutsch beizubringen. Das soll nicht heißen, dass sie sich auch am Mittagstisch nicht in ihrer Muttersprache unterhalten. Aber an manchen Stellen deutsch zu sprechen, würde viel bringen: zum Beispiel mit deutschstämmigen Freunden und Nachbarn, im Verein. Es ist wichtig, dass die Kinder zumindest ihre Wünsche, Sorgen und Anliegen ausdrücken können.“
Insgesamt fällt das Fazit Bonnards positiv aus: „Wir sind auf einem guten Weg. Wenn wir beim Schulträger, Schulamt und Kultusministerium auf offene Ohren für unsere berechtigten Anliegen als besondere Schule im Integrationsschwerpunkt treffen, bin ich guter Dinge, dass wir alle Situationen meistern können.“
von Florian Lerchbacher